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Julia Thamm
Begleitender Dienst
Matthias-Claudius-Haus
Oschersleben
„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht." – Franz Kafka –
Sie arbeiten im Matthias-Claudius-Haus – Evangelische Stiftung Oschersleben. Das ist richtig. Ich wurde im April 2019 angestellt und bin in einem dreiköpfigen Team im Sozialen Dienst beschäftigt. Wir stehen den Beschäftigten und deren Angehörigen mit Rat und Tat zur Seite. Im Fokus unserer Arbeit steht dabei die Begleitung beruflicher und sozialer Rehabilitation sowie die Entwicklung und Förderung der individuellen Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung. 

Wie kam es dazu? Das ist eine lange Geschichte…

…erzählen Sie bitte. Ich habe 2007 in Oschersleben mein Abitur gemacht. Damals war ich 19 Jahre alt und wusste nicht so recht, was ich künftig machen wollte. Also begann ich ein Studium an der Universität Magdeburg – Kulturwissenschaften. Nach zwei Semestern bin ich ausgestiegen. Das war nicht mein Ding. Der Lehrstoff viel zu theoretisch und langweilig. 

Wie ging es weiter? Ich bin zur Berufsberatung gegangen. Die Mitarbeiterin hat alle meine Interessen und Kompetenzen abgefragt. Am Ende des Gesprächs empfahl sie mir, ich solle doch Ergotherapeutin werden. Ich hatte zwar keine Ahnung, was ein Ergotherapeut für Aufgaben hat, bewarb mich aber dennoch an der Berufsbildenden Schule (BbS) „Dr. Otto Schlein“ in Magdeburg und wurde angenommen.

Wie verlief die Ausbildung?
Wir waren eine Klasse mit 25 Schülern und hatten täglich acht Stunden Unterricht. Dazu kamen vier Praktika über jeweils 12 Wochen. In dieser Zeit habe ich meine ersten prägenden Erfahrungen mit behinderten Menschen gemacht – im Matthias-Claudius-Haus in Oschersleben. 

Wie war das für Sie? Anfangs hat mir das Betriebsklima imponiert. Freundliche und hilfsbereite Menschen. Angenehmer Ton und höflicher Umgang miteinander. Aber am meisten hat mich die Arbeit fasziniert. Der Kontakt zu den Menschen mit Behinderung. Die Kreativität und die vielen Aufgaben eines Ergotherapeuten. Es war so abwechslungsreich und ich wusste auf einmal, wohin ich gehöre.

Was macht ein Ergotherapeut? Im Grunde genommen sind Ergotherapeuten darauf bedacht, Menschen mit Erkrankungen oder Beeinträchtigungen wieder so weit zu mobilisieren, dass sie ihren Alltag, mit Beruf und Freizeit, selbstbestimmt leben können.

Das erklären Sie bitte etwas genauer. Nun, es gibt verschiedene Methoden, die wir anwenden. Bei Patienten mit rheumatischen oder orthopädischen Erkrankungen sind es motorisch funktionelle Methoden, um zum Beispiel Gelenke beweglicher zu machen oder Gehen zu lernen. Dann gibt es künstlerische, kreative Therapien, bei denen viel mit Ton, Therapieknete oder Peddigrohr hantiert wird, um die Feinmotorik, aber auch soziale und psychische Kompetenzen zu aktivieren. Ergotherapie verfolgt immer einen ganzheitlichen Ansatz. Bevor das Praktikum begann, hatte ich schon Berührungsängste, da ich noch nie etwas mit Menschen mit Behinderung zu tun hatte. Das ging jedoch schnell vorüber, denn ich spürte, dass meine Arbeit für die Menschen mit Behinderung wertvoll ist – auch wenn es erstmal nur ein Praktikum war. Und im Nachhinein hat sich für mich herausgestellt, dass ich gern Menschen langfristig begleite und nicht nur ein Rezept mit acht Terminen abarbeite.

Wann entschieden Sie, mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten? 2012 nach den Abschlussprüfungen. Ich habe mich bei der Lebenshilfe in Magdeburg beworben und wurde eingestellt. Hier war ich bis 2015 in einer Wohngruppe mit 20 erwachsenen Menschen mit Behinderung. Dann wurde ich schwanger und die Familienplanung hatte Vorrang. 

Umzug nach Oschersleben, zwei Söhne, Hochzeit – da ist eine Menge passiert. Aber 2019 wollten Sie wieder zurück ins Arbeitsleben? Das stimmt. Ich bewarb mich im Matthias-Claudius-Haus – nur nicht als Ergotherapeutin, sondern um eine Stelle als Nachtwache.

Nanu? Tatsächlich war mein berufliches Ego nach vier Jahren als Hausfrau im Keller verschwunden. Ich habe mir absolut nichts mehr zugetraut.

Und dann? Ich wurde zu einem Gespräch mit dem Geschäftsführer eingeladen. Er schlug mir vor, dass ich mich bei den Kollegen vom Sozialen Dienst vorstelle, da dort händeringend eine Elternzeit-Vertretung gesucht wurde. 

Also sollten Sie die Menschen in ihrem Alltag unterstützen. Das ist teilweise richtig. Wir sind drei Mitarbeiter, die ein vielfältiges Terrain beackern. Es geht zum Beispiel um Kostenbeantragung, die Zusammenarbeit mit Ämtern und Behörden, oder wir unterstützen die Menschen mit Behinderung, wenn Anträge jeglicher Art gestellt werden müssen.  

Also mehr das Formale, so wie ein sozialer Dienst in einem Krankenhaus. Das ist viel zu kurz gesprungen. Wir Sozialarbeiter sind nicht nur bürokratisch unterwegs. Wir sind nahe dran an den Menschen mit Behinderung, da wir oft in unseren Werkstätten unterwegs sind, also nicht nur im Büro hocken. Im Alltag vermitteln wir bei Konflikten – vor allem nach außen. Innerhalb unserer Einrichtung versuchen wir mit viel Diplomatie bei Problemen zwischen Werkstattleitung, Gruppenleitern und den Menschen mit Behinderung adäquate Lösungen zu finden. Kurz gesagt: Überall, wo es brennt, löschen wir das Feuer. Zusammengefasst bedeutet das: 

Wir arbeiten an der Verbesserung des sozialen Klimas in unserer gesamten Einrichtung, aber eben auch, um eine Förderung der Menschen mit Behinderungen zu erreichen, die sich an den Bedürfnissen des Einzelnen orientiert. Vor allem aber sind wir auch für berufliche Rehabilitation und Inklusion von Menschen mit Behinderung zuständig. Deshalb betreiben wir viel Netzwerkarbeit und „gehen Klinken putzen“, damit wir ihnen möglicherweise eine Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln können. 

Aus der Elternvertretung wurde eine Festanstellung. Genau. Zunächst einmal wurde mein Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert. Was Sinn machte, denn ehrlicherweise muss ich gestehen, dass es zwei Jahre dauerte, bis ich das System und die Abläufe verstand. Erst dann konnte ich meine Vorstellungen bei der Arbeit umsetzen und meinen eigenen Stil entwickeln. Man darf nicht vergessen, dass ich kein Studium als Sozialarbeiter vorweisen konnte.

Was zum Problem wurde… …ja, schließlich sind wir drei Sozialarbeiter und der Teamleiter für 336 Menschen an zwei Werkstattstandorten verantwortlich.

Also…? …gab es ein weiteres Gespräch. Meine Festanstellung stand im Raum. Nur fehlte mir die nötige Qualifikation. Was also tun? Mir wurde vorgeschlagen, dass ich einen festen Arbeitsvertrag erhalte, wenn ich vor der Unterschrift nachweise, dass ich einen Studienplatz für soziale Arbeit habe. Wir schlossen einen Qualifikationsvertrag, der mich während der Vorlesungszeit für einen Tag in der Woche von der Arbeit freistellte. 

Mittlerweile arbeiten Sie an Ihrem Abschluss und schreiben die Bachelorarbeit. Bis dahin war es aber ein langer Weg. Im Oktober 2020 begann ich an der Hochschule Magdeburg-Stendal mit dem Studium. Ich hatte mich für diese Uni entschieden, da mir hier die Chance, Beruf, Familie und Studium einigermaßen unter einen Hut zu bringen, am größten erschien. Was auch, dank der Unterstützung meiner Kollegen, meines Mannes und der gesamten Familie, gelang. 

Hat sich der Einsatz gelohnt? Auf jeden Fall! Ich bin meinem Arbeitgeber auch sehr dankbar, dass er mir diese Chance gegeben hat. Während des Studiums ist mir schnell klar geworden, wie wichtig in unserem Job Weiterbildung ist. Unsere Gesellschaft ist einem ständigen Wandel unterworfen. Diese und die sozialen Entwicklungen beeinflussen unsere Arbeit maßgeblich. Das frühere Prinzip „trocken, sauber, satt“, ist glücklicherweise lange überholt. Die Stärkung der Autonomie und die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung hat aktuell oberste Priorität auf dem noch langen Weg der Inklusion. „Deshalb ist es für uns wichtig, dass die Leitung der Matthias-Claudius-Einrichtung viel Wert auf die Fort- und Weiterbildungen der Mitarbeiter legt und diese entsprechend fördert und unterstützt. Letztendlich geht es ausschließlich um die bestmögliche Begleitung von Menschen mit Behinderung.

Wollen Sie auch Ihren Master machen? Eher nicht. Ich will mich künftig weiter spezialisieren, um Menschen mit Behinderung besser unterstützen zu können. Das ist sicher auch im Sinne meines Arbeitgebers. Ich bin mir sicher, dass er meine Entscheidung unterstützt.