„Beklage nicht, was nicht zu ändern ist, aber ändere, was zu beklagen ist." – William Shakespeare –
3 Jahrzehnte ist es her, dass Peter Marx seine Arbeit in den „Diakonie Werkstätten Halberstadt“ aufnahm. Ebenfalls so lange ist es her, dass der damalige Geschäftsführer den jungen Mann ansprach und ihn fragte, ob er nicht Lust hätte, sich in den neu zu gründenden Werkstattrat wählen zu lassen, um die Interessen der Kollegen und Kolleginnen zu vertreten. Lächelnd erinnert er sich: „Ich erhielt zwar die wenigsten Stimmen, ergatterte aber dennoch einen Platz im Rat.“ Seitdem wurde Peter Marx alle vier Jahre wiedergewählt. Kaum zu glauben: Seit der zweiten Amtsperiode bekleidet er das Amt des Vorsitzenden – ohne Unterbrechung. Mittlerweile vertreten Peter Marx und sein Team die Interessen von 400 Beschäftigten mit Behinderung in den Diakonie-Werkstätten gegenüber der Geschäftsführung, den Gruppenleitern. Damit nicht genug: 2009 zählte der gelernte Gartenbaufacharbeiter zu den Gründungsmitgliedern der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstatträte Sachsen-Anhalt (LAG/WR St.). Auch in der LAG ist Peter Marx seit der zweiten Amtsperiode der Vorstandsvorsitzende. Und damit verantwortlich für die knapp 11.500 Beschäftigten der 33 Werkstätten in Sachsen-Anhalt. Sicher, Peter Marx arbeitet hin und wieder noch im Diakonie-Laden „Mittendrin“ in Halberstadt. Aber nur ganz selten, die Arbeit im Werkstattrat und in der LAG sind schon seit vielen Jahren „ein Fulltimejob“, wie Peter Marx gern erzählt. Mittlerweile sitzt er auch in vielen Ausschüssen, z.B. auf Landesebene im Psychiatrie-Ausschuss Sachsen-Anhalt, im Landesbehindertenbeirat sowie in der Landesfachstelle für Barrierefreiheit. Damit nicht genug: Peter Marx trug auch maßgeblich mit dazu bei, das Netzwerk „Selbst aktiv, Menschen mit Behinderungen in der SPD“ 2012 zu gründen und bekannt zu machen. Hier ist er ebenfalls seit 11 Jahren Beisitzer im Landesvorstand Sachsen-Anhalt.
Aber, wie kam Peter Marx überhaupt zu den „Diakonie Werkstätten“ in Halberstadt? Lesen Sie hier seine Geschichte: Peter Marx kam 1970 mit einer angeborenen starken Sehschwäche auf die Welt. Außerdem stellten die Ärzte später fest, dass der Junge Epileptiker ist.
Nach einer Ausbildung – noch zu DDR-Zeiten – als Gartenbaufacharbeiter erfuhr Peter Marx zum ersten Mal, welchen Diskriminierungen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind: „Ich durfte nicht als Gärtner arbeiten, sondern lediglich Erde von links nach rechts tragen. Nach dem Motto: Der ist behindert und kann nichts anderes machen.“
Peter Marx kündigte, arbeitete einige Zeit in einem Pflegeheim der Stadt: „Als es an einen Investor verkauft wurde, hat die Heimleitung alle Mitarbeiter mit Behinderung entlassen.“ Wieder stand Peter Marx auf der Straße. Er schrieb eine Bewerbung nach der anderen – vergeblich: „Niemand wollte einen Epileptiker mit Sehschwäche einstellen.“
Er erinnerte sich daran, dass er bereits Jahre zuvor Kontakt zu den Diakonie-Werkstätten hatte: „Aber damals wollte ich nicht dort arbeiten und Schuko-Stecker zusammenschrauben.“ Doch nun hatte sich die Situation geändert: Peter Marx erlebte hautnah mit, dass seine beruflichen Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt „gen Null tendierten.“ Und als dann seine zuständige Sachbearbeiterin im Amt auch noch meinte: „Ehe Sie nur zu Hause sitzen, ist eine Werkstatt doch die bessere Alternative“, gab er nach. „Das war kein schönes Gefühl für mich“, doch als er im zweijährigen Arbeitstraining in der Abteilung Garten- und Landschaftsbau, kurz „Gala-Bau“ genannt, arbeitete, war die „Welt wieder in Ordnung für mich“. Fortan kümmerte er sich zusammen mit den behinderten Kollegen um die Pflege von Außenanlagen, Parks und Grünflächen. Später arbeitete Peter Marx an der Pforte, machte Telefondienste, versendete Faxe, nahm Post entgegen – „was man halt so macht.“ Damals fiel Peter Marx hin und wieder durch seine epileptischen Anfälle aus, aber seit 15 Jahren ist auch das vorbei, dank moderner Medikamente.
Das alles passierte vor vielen, vielen Jahren. Es ist also nicht verwunderlich, dass Peter Marx viel Erfahrung als Vorsitzender des Werkstattrats der Diakonie Halberstadt und der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstatträte Sachsen-Anhalt hat und viel erzählen kann: „Als 1994 zum ersten Mal ein Werkstattrat von den behinderten Mitarbeitern gewählt wurde, wusste niemand so genau, wie so ein Gremium funktioniert und welche Aufgaben es eigentlich hat. So begann ich, mich näher damit zu beschäftigen. Das Internet war damals noch lange nicht so informativ wie heute, also fragte ich bei Ämtern und Behörden, zum Beispiel dem Landesverwaltungsamt, was wir denn eigentlich zu machen hätten. Stück für Stück entwickelte sich der Rat: Wir trafen uns regelmäßig, hörten uns die Sorgen und Probleme der Mitarbeiter an oder sprachen mit der Geschäftsführung der Diakonie über Veränderungen am Arbeitsplatz.“ Außerdem besuchten die Rats-Mitglieder Seminare und Schulungen, um ihre Arbeit noch besser erledigen zu können. Von Jahr zu Jahr, von Wahl zu Wahl wurde Peter Marx sicherer und selbstbewusster, was die Arbeit im Werkstattrat betraf. „Es sind eigentlich bis heute fast immer die gleichen Sorgen und Probleme, die an uns herangetragen werden“, erzählt Peter Marx. Und er nennt die drei Hauptgründe, warum die behinderten Kollegen zu ihm in die Sprechstunde kommen: „Liebeskummer, Schwierigkeiten mit dem Gruppenleiter und der Wunsch, auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln.“„Das war früher noch viel schwieriger als heute“, erzählt Peter Marx, „bis weit in die 2000er wurde es lieber gesehen, dass die behinderten Menschen in den Werkstätten blieben, als nach draußen zu gehen“, erzählt Peter Marx und fügt schmunzelnd hinzu: „Das war ja auch gut für das Ertragsergebnis.“
Er erzählt, dass dies mittlerweile ganz anders ist. „Seit einigen Jahren“, so sagt er, „gehen die Werkstätten immer mehr nach außen.“ Sie wenden sich an die ortsansässigen Firmen und entwickeln gemeinsame Konzepte für mögliche Arbeitsplätze für behinderte Menschen. „Auch übernehmen oder gründen die Einrichtungen eigene kleine Nischenfirmen. Zum Beispiel eine Kaffeerösterei“, sagt Peter Marx. „Oder unseren „Mittendrin“-Werkstattladen in Halberstadt.“ Hier ist alles von Hand gemacht. Sogar die Einrichtung und die Regale wurden in der hauseigenen Tischlerei gefertigt. Verkauft werden handgefertigte Gegenstände, die von den behinderten Menschen in den Werkstätten produziert werden. Von der Filzschnecke bis zum Insekten-Hotel. Dazu Saisonartikel, wie tönerne Krippen, Grillanzünder und, und, und…
Im „Mittendrin“, verkauft und berät auch Peter Marx seit 5 Jahren die Kunden. „Mittlerweile haben wir sogar einen Onlineshop“, sagt er stolz. Auch der erste Arbeitsmarkt ist in Bewegung gekommen, weiß Peter Marx: „Immer mehr regionale Firmen erklären sich bereit, es mit Menschen mit Behinderung zu versuchen, wenn sie entsprechend geschult werden. Meist für den Obststand, das Auffüllen der Regale oder die Flaschenannahme.“ Trotz allem Erreichten, gibt es bis heute aber auch vieles, was sich nicht oder nur wenig geändert hat. Zum Beispiel die Wertschätzung behinderter Menschen: „Ihnen wird kaum etwas zugetraut“, erzählt Peter Marx, „das habe ich ja am eigenen Leib erfahren.“
Seiner Meinung nach mangelt es in einigen Werkstätten noch an Anreizen für die arbeitenden behinderten Menschen. Es gibt zwar Werkstätten, die mit bis zu acht Lohngruppen, die sich durch bestimmte Lohnparameter unterscheiden, abrechnen, aber eben auch andere, die nur mit zwei oder einer Lohngruppe arbeiten. „Wer zum Beispiel beim Sortieren von Schrauben mehr schafft als andere, sollte auch mehr Geld bekommen“, fordert Peter Marx, „wenn alle das Gleiche in einer Werkstatt verdienen, gibt es keinen Anreiz, mehr zu leisten“, sagt er.
Auch im Alltag fehlt es seiner Ansicht nach immer noch an Wertschätzung für die behinderten Menschen: „Allein schon dadurch, dass sie schief angesehen werden.“
3 Jahrzehnte im Werkstattrat, seit 2009 in der Landesarbeitsgemeinschaft, da darf schon einmal gefragt werden, was Peter Marx für seine schönsten Erfolge hält: „Dass wir in den Werkstätten ein gutes Verhältnis zu allen haben, seien es die behinderten Mitarbeiter, die Werkstattleiter und die Geschäftsführung. Da ist etwas gewachsen, was vieles erleichtert.“ Dann überlegt Peter Marx einen Moment, sagt dann: „Ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass ich ein wenig dazu beitragen konnte, die Werkstatträte im Land und bei den Politikern bekanntzumachen.“